„Sag mal… warum hast du all deine Hefte und Bücher mitgenommen? Es ist doch nur ein Wochenende und keine komplette Ferienwoche“ Mathilda schaut mich verwirrt an und antwortet „Naja … also meine Lehrerin … die …“ „Deine Lehrerin was?“, antwortete ich ein wenig irritiert. „Also sie sagt wir sollen alle Bücher und alle unsere Hefte mitnehmen, weil wir ja am Montag nicht mehr zur Schule kommen… die Schulen sind dann doch zu.“ Ich begann zu überlegen, ob ich irgendeinen von dem im deutschen Schulsystem zahlreich vertretenden Ferientagen vergessen habe. Montag ist der 16. März … 16. März überlegte ich… nein eigentlich hat die Klasse 2 weder Wandertag, noch ist eine Lehrerkonferenz. Ich sprach meine Kolleginnen an, die mich verdutzt anschauten und nur mit den Schultern zuckten. Kurz danach, erschien Frau Schwarz, die mein ratloses Gesicht offensichtlich deuten konnte. „Also um deine Frage zu beantworten…“, lächelte sie „falls die Schule ab Montag wirklich geschlossen werden sollten, haben wir den Kindern schon mal alle Materialien mitgegeben. Rein präventiv natürlich nur“ ach nur rein präventiv natürlich dachte ich und versucht mir meine weitere Irritation nicht anmerken zu lassen.
Wenig später machte sich unter den grundsätzlich unruhigen 120 Kindern eine zusätzliche Anspannung breit, die ich trotz meines vorhandenen Gespürs für Situationen jeder Art nicht deuten konnte. Meine Chefin ähnlicher Typ Mensch wie ich zeigte eine ähnliche Verunsicherung bei gleichzeitigem Verhalten eines aufgescheuchten Huhns. Die Stunde oder besser gesagt die Minuten wurde stets seltsamer, bis sich eine Form der atmosphärischen Bombe breit machte, die für eine Stimmung mir bis dahin nicht bekannter Art sorgte. Im Minutentakt erschienen Eltern die ein und dieselbe Frage stellten „Wissen Sie schon genaueres?“ Nein genaueres wussten wir auch nicht, nur, dass das Corona Virus wohl doch mehr ist als eine Version der Schweinegrippe und offensichtlich weitreichendere Folge hatte, als sich jeder von uns vorstellen konnte. So verging der Tag und wir verabschiedeten uns mit den Worten: „Bis Montag oder auch nicht, man weiß es ja nicht.“
Der Anfang einer Veränderung, die uns Menschen weltweit von unserem gewohnten Alltag abbrachte. Das Leben wurde heruntergefahren, in vielen Teilen der Welt ein mehrmonatiger Lockdown ausgerufen. Es wurden Schutzmaterialien gekauft, Hygiene-, Sicherheits- und Abstandsmaßnahmen ausgegeben und in kurzer Zeit ein Aktionismus von nie dagewesener Größe betrieben. Schulen, Universitäten und alle Bildungsstätten unseres Landes wurden geschlossen ohne, dass sich jemand über die Konsequenzen dessen bewusst war. Es wurde eine „Digitalisierung des Unterrichts“ gefordert ohne, dass es diesbezüglich ein Konzept oder gar die notwendige mediale Ausstattung im institutionellen oder häuslichen Umfeld gegeben hätte. Ohne Ziel und ohne Plan wurde die schulische Bildung dem Zufall überlassen. Alleine gelassen wurden die Lehrkräfte auf der einen und Schülerinnen und Schüler auf der anderen Seite.
Obwohl der Zustand geschlossener Schulen für den ein oder anderen eine verlockende Situation war, mussten alle Akteure im Verlauf dieser Pandemie feststellen, dass Schule ein mehrdimensionales Konstrukt ist, in diesem der Bildungs- und Lehrauftrag lediglich einer dieses Systems ist. Insbesondere ist die Schule ein Ort der Sozialisation, des Werdens und Seins und vor allem ein Ort des kollektiven Lernens, Lebens- und Erfahrens. Anhand dessen wird neben der bildungsbezogenen Bedeutung dieser Instanz deutlich, dass Kinder und Jugendliche diesen Ort des Erfahrens, Austauschens und der Sozialisation in vielschichtiger Weise bedürfen.
Der Verlauf der Pandemie zeigte uns nicht nur verschiedene Mutationen, Mund-Nasenschutzanbieter und Krankheitsbilder, sondern eben auch phantasievolle Formen wie Unterricht in einer Zeit, die geprägt von Isolation und Gesundheitsschutz funktionieren soll. Konzeptionen aus Homeschooling und Wechselunterricht wurden konzipiert ohne dabei die langfristigen Folgen dessen auf der sozialen und bildungsbezogenen Ebene zu betrachten. Ein gravierender Anstieg an Leistungsabfall, curricularen Rückständen und negativen psychosozialen Auswirkungen werden derzeit in Studien und aus der Perspektive des schulischen Alltags deutlich.
Jetzt, 18 Monate nach dem Ausbruch der Pandemie in Deutschland ist ein Schulbesuch in Präsenz derzeitig möglich, jedoch ohne zu wissen, wie lange dieser Zustand anhalten mag. Unterrichtsmethoden in Gruppensettings werden zur Herausforderung. Absprachen und sachliche Argumentationen zu einer unüberwindbaren Hürde. Allein diese Beispiele zeigen wie wertvoll das schulische Arrangement in jeglicher Hinsicht ist.
Auf allen gesellschaftlichen Ebenen wird zudem deutlich, dass ein Wissen, um mögliche Lösungen und Optimierungsmöglichkeiten der entstandenen Folgen faktisch nicht vorhanden sind. Schulische Aufholprogramme sind initiiert worden, ohne Garantie, dass diese Generation ihre entstandenen Bildungslücken jemals aufholen wird. Noch viel mehr drängt die Frage danach, wie und in welchem Maße Unterstützungen und Interventionen für die entstandenen Konsequenzen der monatelange Schulschließungen auf psychosozialer und entwicklungsorientierter Ebene aussehen könnten?
Gastbeitrag von Kathrin Elben
Sehr guter Beitrag